Predigt zum 26. Sonntag im Jahreskreis

von Diakon Tobias Riedel

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

„Bleiben Sie zuversichtlich!“ Mit diesem Satz beendet Ingo Zamperoni seit Beginn der Corona-Pandemie jede Ausgabe der Tagesthemen im Ersten Deutschen Fernsehen. An jedem Abend, an dem er moderiert, freue ich mich wieder auf diesen Satz, seit zweieinhalb Jahren: „Bleiben Sie zuversichtlich!“

Vielen Menschen ist die Zuversicht in letzter Zeit allerdings abhandengekommen, schleichend. Es stimmt ja auch: Wir leben in schwierigen Zeiten. Die Pandemie ist noch nicht vorüber, die Infektionszahlen steigen wieder, der dritte Corona-Herbst steht vor der Tür. Währenddessen schreitet der Klimawandel voran, in weiten Teilen Europas herrschte Dürre im Sommer, Wälder brannten lichterloh … Und nicht zuletzt herrscht Krieg in der Ukraine, Zehntausende sind gestorben, Millionen Menschen auf der Flucht. Der Krieg hat globale Folgen, weltweit wird das Getreide knapp, die Hungerkrise in Afrika spitzt sich zu. Und auch wir sind betroffen, die Energiekosten sind hoch, Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel, manch einer wird in diesem Winter seine Heizkostenrechnung nicht bezahlen können.

Und dennoch hören wir abends wieder: „Bleiben Sie zuversichtlich!“ Woher nimmt er eigentlich seine Zuversicht, der Herr Zamperoni? Ich weiß es nicht. Ich kenne ihn nicht, ich weiß nicht, wie er tickt. Aber dieser kleine Satz lässt mich nicht mehr los – und er lädt mich ein, mir Gedanken zu machen: Woher nehme ich eigentlich meine Zuversicht? In der Predigt heute möchte ich Ihnen davon erzählen.

Ein erster Gedanke: Trotz aller Krisen und Kriege der Welt die Hoffnung nicht aufgeben – das ist für mich nur möglich, weil ich an einen Gott glaube, der uns Menschen bedingungslos liebt. Wie ein roter Faden zieht sich diese Botschaft durch die Bibel:

Schon im Ersten Testament wird deutlich, dass Gott das Schicksal seiner Schöpfung und damit das Schicksal der Menschen nicht egal ist[1] – im Gegenteil: Er will, dass unser Leben gelingt. Deshalb begleitet er treu sein Volk, führt es durch die Wüste bis ins gelobte Land – auch heute noch.

Jesus bringt uns dann bei, noch größer von Gott zu denken: Er nennt Gott seinen Vater – und lädt auch uns ein, Gott so anzureden.[2] Nachher, im „Vaterunser“, werden wir genau das tun. Dahinter steht das Gottesbild Jesu: Er weiß, dass Gott uns Menschen liebt wie ein guter Vater oder eine gute Mutter ihre Kinder – und noch viel mehr.

Der Autor des ersten Johannesbriefs schließlich denkt über das Wesen Gottes nach – und formuliert es so: Gott ist Liebe.[3] Das heißt im Klartext: Gott ist nicht ambivalent einerseits der gütige und liebende, andererseits aber der strenge und strafende Gott. Nein, Gott ist Liebe pur, ohne Einschränkungen.

Doch wenn Gott so ist – wenn Gott Liebe ist: Warum greift er dann nicht ein angesichts all der Krisen und Kriege unserer Tage? Viele Menschen fragen so. Sie sehen das unermessliche Leid in der Ukraine und anderswo und fragen: Wo bist du, Gott? Warum schweigst du? Warum unternimmst du nichts, um die Gewalt zu stoppen?

Ich kann diese Fragen gut verstehen – doch ich glaube, sie beruhen auf einem Missverständnis. Im antiken Griechenland dachte man genau so: Man dachte, die Götter würden unmittelbar in das Schicksal der Menschen eingreifen. Mit Donner und Getöse … Wenn in der antiken Tragödie alles aussichtlos war, griffen die Götter „Deus ex machina“ ein und führten das Theaterstück zu einem glücklichen Ende.

Der christliche Glaube denkt anders: Gott handelt nicht unmittelbar mit Donner und Blitz, sondern durch Menschen. Sein Heiliger Geist leitet Menschen an, inspiriert sie, motiviert sie … Wir Menschen sind seine Werkzeuge, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ein altes Gebet aus dem 14. Jahrhundert bringt diesen Gedanken so zum Ausdruck:

Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um seine Arbeit zu tun.
Er hat keine Füße, nur unsere Füße, um Menschen auf seinen Weg zu führen.
Christus hat keine Lippen, nur unsere Lippen, um Menschen von ihm zu erzählen.
Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe, um Menschen auf seine Seite zu bringen.

So betrachtet, stimmt es einfach nicht, dass Gott angesichts der Krisen und Kriege unserer Tage untätig bliebe, im Gegenteil: Fortwährend ist er am Werk – durch Menschen. Sein guter Geist treibt uns an, nicht die Hände in den Schoß zu legen, sondern uns zu engagieren: Für die Bewahrung der Schöpfung, für Versöhnung, für Gerechtigkeit, für den Frieden, für Menschen in Not. Dank sei Gott!

Ein dritter Gedanke: Wichtig scheint mir, dass wir aufmerksam sind für das, was Gott uns sagen möchte. Sehr oft lesen wir in der Bibel: „Da sprach Gott …“ Was ist damit eigentlich gemeint? Eine konkrete Stimme wohl kaum … Vielmehr stelle ich mir vor, dass in einem Menschen ein guter Gedanke aufkeimt, eine neue Idee geboren wird, dass ihm plötzlich ein Licht aufgeht – und er spürt: Dieser Gedanke kommt nicht von mir! Er ist mir gewissermaßen zugeweht wie ein loses Blatt vom Herbstwind[4] – Gottes Weisheit, unendlich kostbar. Gott schreit nicht. Er zwingt uns nicht. Leise meldet er sich zu Wort. Achtsamkeit ist gefragt, wenn man seine Stimme hören will.

„Bleiben Sie zuversichtlich!“ – Ausgerechnet der Moderator einer Nachrichtensendung, also einer, der um die Krisen der Welt weiß, fordert uns auf, die Hoffnung nicht aufzugeben. Wie gesagt, ich weiß nicht, woher Ingo Zamperoni seine Hoffnung schöpft – doch die Quelle unserer Hoffnung kennen wir nun vielleicht etwas besser. In diesem Sinne: Bleiben Sie zuversichtlich!

Amen.

[1] vgl. Hos 11,8

[2] vgl. Lk 11,2

[3] vgl. 1 Joh 4,16

[4] vgl. Reinhard Körner: Lose Blätter, zugeweht – Wie Weisheit zu uns sprechen kann.

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