Impuls „Kirche neu denken“

von Anke von Ivernois und Lucia Justenhoven
im Auftrag des Pfarrpastoralrates

Foto: Peter Weidemann / pfarrbriefservice.de

Erste Lesung: Gen 28,10-17

Jakob zog aus Beerscheba weg und ging nach Haran. Er kam an einen bestimmten Ort und übernachtete dort, denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen dieses Ortes, legte ihn unter seinen Kopf und schlief dort ein. Da hatte er einen Traum: Siehe, eine Treppe stand auf der Erde, ihre Spitze reichte bis zum Himmel. Und siehe: Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder. Und siehe, der HERR stand vor ihm und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks. Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Deine Nachkommen werden zahlreich sein wie der Staub auf der Erde. Du wirst dich nach Westen und Osten, nach Norden und Süden ausbreiten und durch dich und deine Nachkommen werden alle Sippen der Erde Segen erlangen. Siehe, ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst, und bringe dich zurück in dieses Land. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich vollbringe, was ich dir versprochen habe. Jakob erwachte aus seinem Schlaf und sagte: Wirklich, der HERR ist an diesem Ort und ich wusste es nicht. Er fürchtete sich und sagte: Wie Ehrfurcht gebietend ist doch dieser Ort! Er ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels.

 

Psalm: Ps 23, 1-8

Der Herr ist mein Hirte,
nichts wird mir fehlen.

Er lässt mich lagern auf grünen Auen
und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.

Er stillt mein Verlangen;
er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen.

Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht,
ich fürchte kein Unheil;

denn du bist bei mir,
dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.

Du deckst mir den Tisch
vor den Augen meiner Feinde.

Du salbst mein Haupt mit Öl,
du füllst mir reichlich den Becher.

Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang,
und im Haus des Herr darf ich wohnen für lange Zeit.

 

Zweite Lesung: 1 Thess 5, 14-21

Wir ermahnen euch, Brüder und Schwestern: Weist die zurecht, die ein unordentliches Leben führen, ermutigt die Ängstlichen, nehmt euch der Schwachen an, seid geduldig mit allen! Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergilt, sondern bemüht euch immer, einander und allen Gutes zu tun! Freut euch zu jeder Zeit! Betet ohne Unterlass! Dankt für alles; denn das ist der Wille Gottes für euch in Christus Jesus. Löscht den Geist nicht aus! Verachtet prophetisches Reden nicht! Prüft alles und behaltet das Gute!

 

Evangelium: Lk 10, 1-11

Danach suchte der Herr zweiundsiebzig andere aus und sandte sie zu zweit vor sich her in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte. Er sagte zu ihnen: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden! Geht! Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemanden auf dem Weg! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Sohn des Friedens wohnt, wird euer Friede auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, ist seines Lohnes wert. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes! Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt. Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist euch nahe! Wenn ihr aber in eine Stadt kommt, in der man euch nicht aufnimmt, dann geht auf die Straße hinaus und ruft: Selbst den Staub eurer Stadt, der an unseren Füßen klebt, lassen wir euch zurück; doch das sollt ihr wissen: Das Reich Gottes ist nahe.

 

Dialogpredigt „Kirche neu denken“

Im Gottesdienst. Nach der Verkündigung des Evangeliums stehen zwei Personen auf. Die erste Person (1) kommt – bekleidet mit Bauhelm und Warnweste und mit einem Zollstock in der Hand – nach vorne und beginnt, den Altar auszumessen. Die zweite Person (2) kommt hinzu.

2: Hallo, darf ich mal fragen, was hier gemacht wird?

1: Ich messe schon mal den Altar aus, man weiß bei diesen ganzen Immobilien-Reformen, die in unserem Bistum gerade in Gange sind, ja nie … Wer weiß, wo wir den dann wieder aufbauen müssen.

2: Also ich habe das Evangelium, das wir gerade gehört haben, ganz anders verstanden. Jesus schickt seine Jünger und Jüngerinnen auf den Weg, seine Botschaft den Menschen zu verkünden – sie sollen nichts mitnehmen, keine Ausrüstung, keine Konzepte, keine Landkarten, keine Leitpläne und schon gar keinen Altar! Jesus traut ihnen zu, dass sie – so wie sie sind, mit dem, was sie selbst mitbringen – sein Evangelium verkünden können.

1: Das klingt eigentlich nach großer Entlastung. Keine endlosen Planungskonferenzen, keine Sollvereinbarungen, kein Leitfaden, den man Stück für Stück abarbeiten soll … Aber im Ernst: Das ist doch alles andere als realistisch! So kann Kirche nicht funktionieren. Wir brauchen doch ein festes Haus, in dem wir uns treffen, unsere gewohnte Umgebung zum Beten und Gottesdienst feiern, die Orgel für die Musik, unsere Heiligenstatuen …

2: Ich denke, wir haben uns alle nur zu gut eingerichtet in unseren Kirchen und Gemeindehäusern. Jeden Sonntag ein Gottesdienst, achja – zur Not dann auch „nur“ ein Wortgottesdienst. Dann unsere Gruppen unter der Woche. Am besten soll doch alles so bleiben wie es ist. Aber im Ernst: Die viele Arbeit, die da ist, wird nur noch auf wenige Schultern verteilt – auf die, die sowieso immer schon alles gemacht haben. Und so kreisen wir doch irgendwie immer nur um uns selbst und kommen keinen Schritt weiter.

1: „Prüft alles“ haben wir gerade in der Lesung vom Apostel Paulus gehört. Soll das heißen, dass unser ganzes Kirchenbild jetzt auf den Prüfstand soll?

2: Was für die Kirche damals galt, gilt auch für uns heute. Der Satz des Paulus geht ja noch weiter: „Prüft alles und behaltet das Gute“. Dinge, die in unseren Kirchengemeinenden laufen, die Menschen guttun, die brauchen wir nicht über Bord zu werfen. Und da gibt es doch einiges! Aber das, was uns einengt, was andere ausschließt, was nicht mehr von wenigen geleistet werden kann, muss abgewogen werden. Und dann wird sich herausstellen, dass es gut ist, Ballast abzuwerfen. Darin liegt auch eine große Chance der Erneuerung! Wir sollten als Kirche aufbrechen und neues wagen. Nur Mut!

1: Aber wohin soll die Reise denn gehen – wie soll sich unsere Kirche entwickeln? Das kommt mir fast so vor wie die Geschichte des Exodus, die wir aus der Bibel kennen. Das Volk Israel zog aus Ägypten fort und landete in der Wüste. Hier wurde ihm klar, dass dieser Weg gar nicht so einfach ist. Manche sehnten die alten Zeiten in Ägypten zurück – die Fleischtöpfe, von denen sie zwar nicht satt wurden, ihnen aber wenigstens vertraut waren.

2: Stimmt! Im Jammern und sich Beklagen waren sie große Meister. Das kommt mir nun bekannt vor: So viele beklagen sich heute über die leeren Gottesdienste, die Jugend, die ausbleibt, den Priestermangel und dass früher noch richtig was los war in unseren Kirchen! Das ist irgendwie auch eine Wüstenerfahrung. Aber mit Jammern kommen wir nicht weiter und schon gar nicht aus so einer Wüste heraus.

1: Hm. In der ersten Lesung haben wir etwas von Jakobs Traum gehört. Er sah eine Himmelsleiter, auf der die Engel Gottes auf- und abstiegen: Tor des Himmels hat er es genannt. Gott war direkt vor Jakob und hat ihm ein Versprechen gegeben: „Siehe, ich bin mit dir“, sagt Gott. Und weiter: „Ich behüte dich, wohin du auch gehst – ich verlasse dich nicht“. Für Jakob ist diese Begegnung mit Gott lebensverändernd. Er hatte sich mit seinem Bruder überworfen und war vor ihm an diesen einsamen Ort geflohen. Auch so etwas wie eine Wüstenerfahrung. Doch Gottes Zusage hat ihm Mut gemacht – er wusste nun, dass er zurückkehren konnte. Der Ort, an dem Jakob von der Begegnung mit Gott träumte, ist für ihn ein Segensort geworden.

2: Segensort – was für eine schöne Bezeichnung. Ein Ort, an dem Segen erfahren wird … Ich stelle mir das so vor, dass Menschen dort aufgebaut werden, dass sie Zuspruch bekommen und Heilung verspüren. Ich glaube, das ist genau das, was wir heute als Evangelium gehört haben: Jesus schickt seine Jüngerinnen und Jünger, er schickt uns – heute! – auf den Weg zu den Menschen. So wie jeder und jede von uns ist und ausgerüstet mit der besten Botschaft, die man sich vorstellen kann: Da ist ein Gott, der stärker ist als Leid und Tod dieser Welt. Ein Gott, der mit uns unterwegs ist und uns stärkt und stützt. So ein Zuspruch kann wirklich heilend wirken.

1: Die ersten Christen sind zu denen gegangen, die Hilfe brauchten, die in Not waren. Stets waren sie unterwegs. So wurden sie „Menschen des Weges“ genannt. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diesen Begriff aufgenommen und von der Kirche als pilgerndes Volk Gottes gesprochen. Nein, Gott ist nicht nur in Kirchengebäuden und in den Gottesdiensten zu finden, sondern dort, wo Menschen füreinander da sind, Freude und Leid miteinander teilen. Wenn unsere Kirchen immer leerer werden und die frohe Botschaft nur noch von wenigen gehört wird, dann sollten wir uns tatsächlich aufmachen zu den Menschen.

2: Ja, aber nicht mit großen Worten oder Vorträgen, nicht mit Aktionismus, sondern so wie wir sind. In den ganz alltäglichen Situationen und Begegnungen mit anderen. Lasst uns eine Kirche sein, die weit und offen ist und sich nicht hinter Mauern zurückzieht.

1: Wir haben einen Text von Jörg Zink mitgebracht, den dieser bereits 1982 auf dem Katholikentag vorgetragen hat. Diesen Text möchten wir gerne mit Ihnen teilen:

Ich träume von einer Kirche [1]

Ich träume von einer Kirche, die in Bewegung ist, in Bewegung auf ihren Herrn zu.

Ich träume von einer Kirche, die ihr Dach verliert und stattdessen nur den Himmel über sich hat und die Wolken, den Glanz der Sonne und das zarte Leuchten der Sterne bei Nacht.

Ich träume von einer Kirche, die keinen Turm hat und keinen Turm braucht, denn niemand braucht nach oben zu weisen, das Licht des Himmels ist allen Augen sichtbar.

Ich träume von einer Kirche, die keine Türen hat und schon gar keine Schlösser an ihren Türen, in die wir hineingehen können oder hinaus, in voller Freiheit, weil das Innen und das Außen eins sind; von einer Kirche, die niemanden aussperrt.

Ich träume von einer Kirche, deren Wände sich auflösen und sich verlieren, so, dass das Licht von allen Seiten eindringt; von einer Kirche, in der Freiheit ist, die sich selbst und ihre Grenzen und Wände nicht wichtig findet; die ihr Dach und ihre Wände und Pfeiler dem Glanz des Himmels zum Opfer bringt.

Ich träume von einer Kirche, die durchscheinend wie Glas ist, oder noch mehr: von einer Kirche, die so offen und so frei ist wie die Welt selbst.

Denn „Kirche“ ist doch wohl nicht eine Institution innerhalb der Welt. Sie ist vielmehr die Welt selbst, soweit in ihr das Wort von Christus ergeht.

1: Wir laden Sie nun ein, sich für einen kurzen Moment auf dem Hintergrund der Gedanken unserer Predigt über diesen Text von Jörg Zink auszutauschen. Bilden Sie einfach mit Ihrem Nachbarn, Ihrer Nachbarin hier in der Kirche kleine Murmelgruppen. Vielleicht können folgende Fragen Ihnen dabei behilflich sein: Wovon träumen Sie / träumst du in Bezug auf Kirche? Wohin kann ich mich / können wir uns als Kirche auf den Weg machen? Wir wünschen Ihnen einen guten Austausch – vielen Dank!

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[1] Jörg Zink, „Ich träume von einer Kirche.“ Aus einem Vortrag auf einer Veranstaltung der ökumenischen Basisgruppen action 365 anlässlich des 82. Deutschen Katholikentags 1982. Zuerst erschienen in „Themen des Glaubens“, Heft 29, Frankfurt/Main im Verlag der action 365, 1983. Als Postkarte und Poster im Kawohl-Verlag, Wesel.