Geistlicher Impuls: „Mein Herr und mein Gott“

von Gemeindereferentin Monika Tenambergen

Auferstehungsikone (Ausschnitt). Foto: Monika Tenambergen

In dieser Woche begehen wir in der westlichen Kirche die Osteroktav. Jeder Tag dieser Woche wird in der Liturgie wie ein Hochfest gefeiert. Die Osterkerze soll ununterbrochen brennen und allen, die die Kirche betreten, verkünden: Christus ist auferstanden.

Die Lesungen sind den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte entnommen. Sie führen uns vor Augen, mit welcher Kraft die ersten Christen die Auferstehungsbotschaft bezeugt und weitergetragen haben, weil die Erfahrung des Auferstandenen ihre ganze Existenz erfasst und ihrem Leben einen neuen Sinn gegeben hat.

Die Evangelien der Osteroktav berichten von den Erscheinungen Jesu bei seinen Jüngerinnen und Jüngern. Sie berichten von Verwirrung, von Unglauben, von Zweifel, von langsamem Verstehen, von Erkenntnis, von Berührungen, von Freude, von Hoffnung.

An diesem Sonntag endet die Osteroktav mit dem Evangelium von der Begegnung des Auferstandenen mit dem Apostel Thomas. Er, der oft der Ungläubige oder der Zweifler genannt wird, spricht am Ende sein Glaubensbekenntnis: „Mein Herr und mein Gott.“ Thomas will die Wunden Jesu berühren, in Wirklichkeit aber lässt er sich berühren. Aus der Bedingung, die er für seinen Glauben stellt, nämlich mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen Händen zu fassen, wird durch die Begegnung mit Jesus ein Sehen und Fassen mit dem Herzen. Er wird ein Gläubiger, ein Vertrauender, einer, der sein Leben auf Jesus Christus setzt. Er wird ein Gläubiger, von dem es heißt, er habe die Frohe Botschaft bis nach Indien gebracht und sei den Märtyrertod gestorben.

Jedes Mal, wenn ich dieses Evangelium höre, kommt mir beim Bekenntnis des Apostels ein Gebet von Nikolaus von der Flüe in den Sinn. Es hat den folgenden Wortlaut:

Mein Herr und mein Gott,
nimm alles von mir, was mich hindert zu dir.

Mein Herr und mein Gott,
gib alles mir, was mich fördert zu dir.

Mein Herr und mein Gott,
nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir.

Dieses Gebet begleitet mich seit langem auf meinem Glaubensweg. Es ist ein Gebet vollkommenen Vertrauens. Oft genug mangelt es mir genau daran. Während mir die ersten beiden Sätze noch recht einfach über die Lippen gehen, hat es der letzte Satz ganz schön in sich. So gerne und leicht bete ich ihn nicht. Das Loslassen ist nicht so einfach. Viel lieber halte ich das Ruder selbst in der Hand. Dann kann ich die Richtung vorgeben und sagen, wo es lang geht. Und doch hat mich dieses Gebet schon durch manche Glaubenskrise getragen: Immer dann, wenn ich nicht mehr weiterwusste und mir nichts anderes mehr übrigblieb als loszulassen, statt krampfhaft festzuhalten. Immer dann, wenn niemand mehr helfen konnte als Gott allein. Immer dann, wenn ich alles Gott anvertraute, gab es auch eine Lösung und Befreiung und einen neuen Blick auf das Leben. Eigentlich sollte ich aus solchen Erfahrungen lernen, Gott immer tiefer zu vertrauen und mich mehr und mehr auf ihn verlassen. Er meint es ja gut mit mir. Aber Gottvertrauen lernen bleibt wohl eine lebenslange Aufgabe.

Eine musikalische Version dieses Gebets wird in der Gemeinschaft von Taizé gern und oft gesungen. Vielleicht möchten Sie ja einstimmen …

Ich möchte noch einen anderen Gedanken mit Ihnen teilen, der mich in dieser Woche beschäftigt: Während wir die Osterwoche feiern, begehen unsere Geschwister in der orthodoxen Kirche die Karwoche. In der Ukraine durchleiden die Menschen sie gerade am eigenen Leib. Der verzweifelte Hilferuf der letzten Verteidiger der Stadt Mariupol gestern im Stahlwerk klingt für mich wie ein Klagepsalm am Karfreitag. „Dies ist unser Appell an die Welt. Es könnte der letzte Appell unseres Lebens sein. Es sind unsere letzten Tage, wenn nicht unsere letzten Stunden …“

Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Menschen im Labyrinth der Katakomben des Stahlwerks sich fühlen: Verteidiger, Verwundete, Frauen, Kinder, Alte … Ich kann mir auch nicht vorstellen, woran Menschen sich noch klammern, wenn sie wissen, dass es kaum eine Chance auf Rettung gibt, wenn die Nahrungsmittel zu Ende gehen und wenn alle Fluchtwege so blockiert sind, dass „nicht einmal eine Fliege rauskommt.“ Ist dann für sie das Gebet eine allerletzte Zuflucht, wissend, dass Gottes Sohn Mensch geworden ist, um den Schmerz der Leidenden zu teilen und an ihrer Seite zu sein? Die Osterikone der orthodoxen Kirche stellt Christus dar, der in die Dunkelheit, in das Reich des Todes hinabsteigt, die Hand der Menschen ergreift und sie rettet.

Ich möchte hoffen, dass dieses Wunder geschieht in den Katakomben des Stahlwerks von Mariupol und in allen Kerkern dieser Welt, in denen Menschen gefangen sind.

Христос воскрес! – Він справді воскрес!
Christus ist auferstanden! – Er ist wahrhaft auferstanden!

<< zurück